Geschrieben von Eva Toschi

Fotos von Federico Ravassard

Es kommt nicht oft vor, dass man in einer Gruppe von Frauen klettert, die sich untereinander kaum kennen und die einzig der Wunsch nach einer neuen, gemeinsamen Erfahrung zusammenführt. Doch warum wagt man solche Dinge eigentlich so selten? Was hält eine Handvoll Frauen davon ab, sich zu einem gemeinsamen Kletterabenteuer zusammenzuraufen? Welche Ängste, welche Erwartungen?

 

Wir wollten es ausprobieren und haben Antworten gefunden. Zwar nicht auf alle Fragen, aber immerhin ...

 

 

Wir treffen uns an einem Freitagabend. In Arco. Angesichts des Weges und des Wetters schien dies ein geeigneter Ort. Und Felsen gibt es hier schließlich zur Genüge.

Endlich sitzen wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber und können einander kennenlernen. Wir merken, dass wir uns gar nicht so fremd sind wie gedacht. Die Zeit vergeht wie im Flug, die Gläser leeren sich und die Worte sprudeln nur so aus uns heraus – wie ein wallender Fluss nach einer Woche Regen. Und tatsächlich tauschen wir seit genau sieben Tagen Nachrichten aus. Nur einige von uns haben sich bereits getroffen, und alle sind neugierig, mehr voneinander zu erfahren. Wie die Erde, die nach einer langen Trockenzeit begierig das Wasser in sich aufsaugt.


Nach und nach fügen sich die Teile zusammen. Es ist seltsam: Man begegnet jemandem zum ersten Mal und hat gleichzeitig das Gefühl, eine alte Freundin aus der Kindheit wiederzusehen.
- Hallo. Du bist Giulia, oder? Letzten Sommer habe ich deine Schwester kennengelernt.
- Was machst du denn so?
- Wo wollen wir morgen klettern gehen?

In unseren Gesprächen ist kein Platz für Fragen nach Erfolg und Ansehen, das Äußere der anderen interessiert uns nicht. Wenn wir über Körper oder Kleidergrößen sprechen, dann nur, weil wir fragen möchten: Soll ich dir meine Shorts borgen? Dir würden sie echt gut stehen.

Am Ende des Abends wissen wir immer noch nicht, welche Route wir am nächsten Tag klettern wollen; wir blättern in unserem Kletterführer, markieren die vielversprechendsten Seiten mit Eselsohren und widmen uns dann weiter dem gegenseitigen Kennenlernen. Denn das erscheint uns für unseren Klettererfolg viel wichtiger.

 

 

Eva konnte nicht schlafen, Michela musste noch vor dem Morgengrauen von zuhause losfahren, um rechtzeitig bei uns zu sein, Giulia ist früh aufgestanden, hat geduscht und Eyeliner aufgetragen. Jetzt sind wir bereit, eine Mehrseillängenroute in Angriff zu nehmen. Wir haben auch entschieden, welche. Von der Organisation bis zur Verteilung der Ausrüstung läuft alles wie am Schnürchen. Auch wenn wir bislang fast Fremde füreinander waren, wissen wir, dass gerade eine Freundschaft im Entstehen begriffen ist: Wir gestatten den anderen einen Blick in unsere innere Welt und unser Lächeln wird herzlicher. Wir kennen uns kaum und sind einander doch wunderbar vertraut.


Die Sonne wärmt uns den Rücken, unsere Füße brennen und wir steigen die Wand hinauf – unter viel Lachen, aufgeregten Rufen, zweideutigen Witzen und Bitten um Unterstützung: Ich brauche mehr Seil! Wir schaffen einen Raum, in dem sich jede von uns von ihrer besten und schlechtesten Seite zeigen kann. Das ist ein tolles Gefühl. Aber es ist auch einer der Gründe, warum diese Erfahrung letztendlich so beängstigend ist.

 

 

EIN WOCHENENDE MIT NEUEN UND ALTEN FREUNDINNEN

by Eva Toschi

3.0 Minuten Lesezeit

 

 

Wir schaffen einen Raum, in dem sich jede von uns von ihrer besten und schlechtesten Seite zeigen kann. Das ist ein tolles Gefühl. Aber es ist auch einer der Gründe, warum diese Erfahrung letztendlich so beängstigend ist. Wir erreichen den Gipfel, der kein wirklicher Gipfel, sondern einfach nur weiter oben ist, und verlieren Zeit, die nicht wirklich verloren, sondern gut genutzt ist. Mit fettigen und dreckverschmierten Händen reißen wir Focacciastücke ab, ordnen die Seile neu und binden uns die Haare zusammen. Wir haben es nicht eilig, in die Welt zurückzukehren, die uns unten erwartet. Eine Gruppe deutscher Männer kommt kurz nach uns an und kehrt sofort wieder um. Zu schnell und zu leise, für unseren Geschmack. Wir sind uns darüber einig, dass sich Effizienz umgekehrt proportional zu den Emotionen verhält, die man in eine Sache einbringt. Wir sind ganz Emotionen. Und das kann beängstigend sein. Es ist beängstigend, sie anderen zu zeigen – in einer Welt, in der Gefühle als Schwäche gelten. Es ist beängstigend, sie zu akzeptieren. Sich selbst zu akzeptieren.

 

 

Zurück in der Welt da unten sind wir zwar nicht mehr durch Seile miteinander verbunden, aber wir sind vereint. Bei aller Verschiedenheit eint uns das gemeinsam Erlebte sowie die Aussicht auf das, was noch kommen wird. Mary stößt zu uns und die leeren Spritz-Gläser auf dem Tisch mehren sich. Unsere Wangen sind rot und wir genießen das Zusammensein. Das gemeinsame Klettern hat uns nicht gereicht, wir wollen mehr. Wir reden viel und trinken, denn unsere Kehlen sind ausgedörrt und unser Durst ist groß – und je mehr wir reden und trinken, desto ernster, aber auch unbeschwerter werden unsere Gespräche. So werden wir all unsere Ängste und Unsicherheiten los, bevor sie sich unserer bemächtigen. Indem wir sie teilen, treiben wir sie aus.

 

 

Wir sprechen über unsere Vorurteile und die der anderen, wenn sie uns beim Klettern sehen. Was wird von einer Frau erwartet, die klettert? Welche Erwartungen stellen wir an uns selbst, wenn wir das Seil an den Gurt binden? Wovon lassen wir uns inspirieren? Sind all die Klischees rund um das Frauenklettern nicht eigentlich dasselbe wie Kleidungsstücke, die theoretisch jeder passen, uns aber überhaupt nicht? Wir sind Frauen, doch vor allem sind wir Menschen. Und jeder Mensch hat seine Besonderheiten. Diese Besonderheiten – egal, ob gut oder schlecht – sind es, die uns ausmachen.

 

Doch bei allem Reden und Hinterfragen erwarten wir nicht, eine Antwort zu finden – schon gar keine, die allen gerecht würde.
Und sowieso sind uns die Fragen wichtiger als Antworten.

 

 

Nach diesem Abend bietet der Sonntag die perfekte Gelegenheit zu einer gemeinsamen Kletterpartie. Dabei stellen wir fest, dass wir nicht nur unterschiedliche Menschen, sondern auch sehr unterschiedliche Kletterinnen sind. Jede hat ihren eigenen Stil, ihre eigenen Ängste, ihre eigenen Ziele und Motivationen. Vielleicht liegt es gerade an unseren Unterschieden, dass wir in der Lage sind, uns in die andere hineinzuversetzen.

 

Wir schauen einander aufmerksam zu, während das Seil durch unsere Hände gleitet; wir spornen uns gegenseitig an und sind bereit, für die andere zur Seite zu treten. Wir verstehen es, uns zurückzunehmen. Und auch wenn uns noch viele Gedanken durch den Kopf schwirren, wissen wir jetzt, dass uns im Grunde die gleichen Dinge bewegen.

 

Letzten Endes muss man es also einfach riskieren, aus seiner Komfortzone treten und sich auf ein Wochenende mit fremden und vertrauten Personen einlassen, um Antworten zu finden.

Und Gelegenheiten wie diese beim Schopfe packen.

 

 

Nach diesem Abend bietet der Sonntag die perfekte Gelegenheit zu einer gemeinsamen Kletterpartie. Dabei stellen wir fest, dass wir nicht nur unterschiedliche Menschen, sondern auch sehr unterschiedliche Kletterinnen sind. Jede hat ihren eigenen Stil, ihre eigenen Ängste, ihre eigenen Ziele und Motivationen. Vielleicht liegt es gerade an unseren Unterschieden, dass wir in der Lage sind, uns in die andere hineinzuversetzen.

 

Wir schauen einander aufmerksam zu, während das Seil durch unsere Hände gleitet; wir spornen uns gegenseitig an und sind bereit, für die andere zur Seite zu treten. Wir verstehen es, uns zurückzunehmen.
Und auch wenn uns noch viele Gedanken durch den Kopf schwirren, wissen wir jetzt, dass uns im Grunde die gleichen Dinge bewegen.

 

Letzten Endes muss man es also einfach riskieren, aus seiner Komfortzone treten und sich auf ein Wochenende mit fremden und vertrauten Personen einlassen, um Antworten zu finden.
Und Gelegenheiten wie diese beim Schopfe packen.