„Ah, das ist wie das mit den gelben Hosen“, sagte meine Freundin Natalie zu mir, während ich unbeholfen die Karte des Kletterführers drehte und wendete, um unseren Weg zu einem Boulderfelsen namens Asteroid Belt im Joshua-Tree-Nationalpark zu finden.

 

„Wie was?“

 

„Du weißt schon – dass nur wirklich starke Kletterer sich trauen, leuchtend gelbe Kletterhosen zu tragen.“

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Je mehr ich über meine Zugehörigkeit als Kletterin nachdachte, desto mehr fragte ich mich, was es eigentlich bedeutet, ein echter Kletterer zu sein. Bedeutet es, immer höhere Schwierigkeitsgrade anzustreben? Bedeutet es, als echter Dirtbag-Kletterer unterwegs zu sein? Hat es mit einer bestimmten Art von Verhalten, Kleidung oder Aussehen zu tun? Muss man dafür gelbe Hosen tragen? Kann ich nicht einfach ich selbst und trotzdem Kletterin sein?

 

Mir wurde klar, dass ein großes Stück des Puzzles fehlte, wenn ich die Dinge nur von meiner Warte aus betrachtete. Denn auch wenn Selbstbeobachtung, Selbstliebe und ein System, durch das man Unterstützung und Bestätigung erfährt, unerlässlich sind, um Selbstzweifel zu überwinden, ist es ebenso wichtig, die Kultur innerhalb des Klettersports zu thematisieren – denn auch diese hat zu meinem Gefühl der Unzulänglichkeit beigetragen. Der Sport gewinnt heute stetig an Zulauf und wird immer zugänglicher, daher zählt die Kletterszene viele neue Gesichter. Das hat mir gezeigt, dass ich nicht in eine bestimmte Form passen muss, um Kletterin zu sein. Heute besteht die Möglichkeit, die Outdoor-Welt auch solchen Personen zu öffnen, die in der Vergangenheit aufgrund kultureller Normen, finanzieller Gegebenheiten oder der Darstellung in den Medien nicht vertreten waren. 

 

Nach meinem Wochenende im Joshua-Tree-Park nahm ich meinen dampfenden Becher Champurrado, ein traditionelles mexikanisches Heißgetränk aus Schokolade und Atole, in die Hand und ging über den Flur zum Zimmer meiner Mama. Wir unterhielten uns zunächst über meine Kletterabenteuer der letzten Tage, kamen dann aber auf die Kindheit, das Spielen im Freien und die Frage zu sprechen, ob meine Mutter als Mädchen jemals ans Klettern gedacht hatte. Sie erzählte mir von der Colonia in Oxnard, in der sie aufwuchs, nachdem ihre Familie aus Mexiko umgesiedelt war. In dieser überwiegend hispanischen Gemeinde von Wanderarbeitern gab es weder Fitnessstudios, noch schöne Orte zum Outdoor-Klettern – und vor allem gab es niemandem, der sie als Frau in einer traditionellen mexikanischen Gemeinschaft ermutigt hätte, Abenteuersport zu betreiben. Selbst wenn zufällig eine Kletterhalle oder ein mit dem Bus leicht erreichbarer Felsen in der Nähe gewesen wäre, hätte sie sich dort sicherlich fehl am Platz gefühlt, denn sie wäre von weißen, wohlhabenden Männern mit teurer Ausrüstung umgeben gewesen, die sich am Wochenende dem Klettern hingaben. Damit Frauen wie meine Mutter sich in einem Sport wie dem Klettern willkommen fühlen, sind organisatorische Unterstützung, Zugang und starke Mentorinnen ebenso wichtig, um ihre Selbstzweifel zu besiegen, wie ein Gefühl der Zugehörigkeit, Selbstvertrauen und Selbstliebe.

 

 

Ich hatte ihr von meinen Erfahrungen in Katalonien, Spanien, erzählt. Ich war vor zwei Jahren nach Barcelona gezogen, um mich auf das Vorstieg-Klettern zu konzentrieren und zu erleben, wie es sich anfühlt, allein in einem neuen Land zu reisen. Dort fand ich mich an Felsen wieder, die ich bis dahin nur in Kletterfilmen gesehen hatte. Nach dem anfänglichen Überschwang überkam mich schnell ein Gefühl des Grauens: Was mache ich eigentlich in Oliana, einem bekanntermaßen sehr schwierigen Klettergebiet, wo ich doch nur ein paar Mal in meinem Leben überhaupt sportgeklettert bin? Die aufmunternden Gesichter zu meiner Linken und Rechten beruhigten mich ein wenig – aber wenn ich weinend in der Wand hing, weil ich Angst hatte, den nächsten Haken zu clippen, oder vor den Augen meiner Idole versehentlich das Kletterseil falsch eingehängt hatte, fühlte ich mich trotzdem wie ein totaler Außenseiter.

 

Aber das Gefühl beschlich mich nicht nur in der katalanischen Kletter-Community. Tatsächlich verfolgten mich die Selbstzweifel wie ein Schatten; die kritische Stimme in meinem Kopf stellte unablässig meine Fähigkeiten infrage – obwohl ich eigentlich wusste, dass ich kompetent, gut vorbereitet und absolut fähig war. Als ich in einer Kletterhalle zu klettern begann, war ich nicht muskulös genug. Als ich begann, im Freien zu bouldern, fehlte es mir an Mut. Als ich begann, mich mädchenhafter zu kleiden, nahm man mich weniger ernst. Als ich begann, auf Instagram zu posten, wurde das als Schwäche angesehen. Als ich das Bier nach dem Klettern ablehnte, war ich nicht Kletterin genug.

 

 

Selbstzweifel betreffen vor allem Frauen – und zwar ganz besonders jene, die in Bezug auf Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Kultur, Klasse und Fähigkeiten einer oder sogar mehreren Minderheiten angehören. Es ist schwieriger, auf einem Gebiet Selbstbewusstsein und Selbstwert zu empfinden, wenn man sich mit den Menschen in seiner Umgebung nicht identifizieren kann. Darüber hinaus sind Abenteuersportarten bekanntermaßen elitär und nur schwer zugänglich. Deshalb handeln die Geschichten, die man darüber hört, meist auch nur von Männern, was auf Frauen schnell einschüchternd wirkt. Die mangelnde Inklusion sowie der schwierige Zugang zu dem Sport haben auch die Frauen der Kletterwelt beeinflusst.

 

Doch wie können wir als Community Selbstzweifeln entgegenwirken? Ist dies überhaupt möglich?

 

Ich ermuntere Frauen, ihre Beziehung zur Kletter-Community zu hinterfragen und sich bewusst zu machen, dass die Kletter-Community als Ganzes durchaus nach vorn blickt. Gemeinsam können wir eine positive Atmosphäre schaffen, indem wir uns gegenseitig unterstützen und das Bewusstsein dafür schärfen, dass es immer noch viele Hürden gibt, die insbesondere farbige Frauen überwinden müssen, wenn sie einem Hobby wie dem Klettern nachgehen. Zudem müssen wir die Geschichten von Frauen unterschiedlicher Herkunft erzählen, die genau dies geschafft haben, damit andere ihrem Beispiel folgen können. Stück für Stück – oder auf Katalanisch: poc a poc – werden wir so unser Ziel erreichen. Es gab keine Mentorinnen für Frauen wie meine Mutter, und nur eine Handvoll weiblicher Vorbilder für mich selbst in der kleinen Gegend, in der ich lebte, und in dem Fitnessstudio, das ich besuchte. Mittlerweile gibt es jedoch neue Organisationen, Instagram-Seiten, Festivals, Jugendprogramme und Angebote, die die Inklusivität im Outdoor-Bereich fördern. Ich bin zuversichtlich, dass die nächsten Generationen von Frauen viele Beispiele hierfür sehen werden – und ich weiß, dass ihr auf jeden Fall Kletterinnen sein könnt, ganz egal, wer ihr seid und woher ihr kommt. 

 

Also, schnappt euch eure Freundinnen, zieht euch eure leuchtendsten gelben Hosen an (oder die Kleidung, die euch am meisten Selbstvertrauen gibt!) und werdet Teil des Wandels!

 

 

VON SELBSTZWEIFELN UND GELBEN HOSEN

 

Schnappt euch eure Freundinnen, klettert nach Herzenslust und werdet Teil des Wandels!  

Von Anna Hazelnutt

  

5 Minuten Lesezeit