OUR OWN WAY

Ein anderer Körper, eine andere Mentalität, ein anderer Ansatz.

By Eva Toschi.

 

 

Ich habe mich noch nie als typische Vertreterin des weiblichen Geschlechts gefühlt – vielleicht, weil ich mich nicht in den Stereotypen wiedererkenne, die Frauen manchmal zu Recht und manchmal zu Unrecht zugeschrieben werden. Oder vielleicht, weil ich mich nicht gerne in eine bestimmte soziale Gruppe einordnen lasse. Wenn es aber um das Klettern geht, bin ich stolz darauf, diesem Geschlecht anzugehören, das sich jeden Tag neuen Herausforderungen stellen muss.

Den ganz „in Rosa“ gehaltenen Initiativen, die in der Outdoor-Welt so erfolgreich sind, stehe ich eher skeptisch gegenüber. Nicht, weil ich sie an sich für falsch halte, sondern weil sie meiner Meinung nach genau das Gegenteil des erhofften Effekts bewirken. Bei allen guten Absichten kommt man dabei leicht zu dem Schluss, dass „auch wir Frauen klettern (laufen, Skifahren, in der Wildnis überleben) können wie Männer“, obwohl wir in Wahrheit nichts davon genauso können wie sie.

Und genau das ist ja das Schöne.

Wir müssen nur begreifen, dass uns die vermeintlichen Hindernisse der so stark herbeigesehnten Geschlechtergleichheit in Wahrheit wundervolle Möglichkeiten zur Abgrenzung bieten.

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Ein anderer Körper

 

Ich habe einmal im März mit dem Klettern begonnen. Im Mai hatte ich geschwollene Finger, Schwielen an den Füßen und stark definierte Arm- und Rückenmuskeln. Meine Ringe passten mir nicht mehr, ich schämte mich, Sandalen und Tops zu tragen – von Kleidern ganz zu schweigen. Mein Körper hatte sich plötzlich verändert und damit auch die Wahrnehmung meiner Weiblichkeit. Aber wie gesagt entstehen Vorurteile vornehmlich in unseren Köpfen und dort können sie auch zerstört werden. Es hat eine Weile gedauert, aber schließlich habe ich die Veränderung zu akzeptieren und am Ende fast zu lieben gelernt. Jetzt klettere ich gerne in einem Träger- oder Tanktop, in dem man meine Schultern und meinen Rücken sehen kann. Ich fühle mich wohl in meiner Haut. Und das nicht nur aus ästhetischen Gründen: Ich fühle mich gut, weil ich meinen Körper für etwas einsetze, das ich liebe.

Meine alten Ringe passen mir nicht mehr, aber die stören beim Klettern sowieso.

Während es auf der einen Seite schwer ist, sich mit seinem weniger femininen Körper anzufreunden, ändern sich andere Dinge auch nach einigen Monaten Bergsteigen nicht. Auch das ist manchmal schwer zu akzeptieren. Am Anfang fand ich es beispielsweise besonders frustrierend, einen Tritt nicht zu schaffen, den jeder größere männliche Bergsteiger mit links macht. Es ging mir auf die Nerven, immer und immer wieder zu stürzen, weil meine Hebel kürzer sind als der Durchschnitt. Es spielte keine Rolle, wie gut ich kletterte – einige Routen, die vielleicht auch unter meinem persönlichen Limit lagen, konnte ich einfach nicht durchsteigen. Mit der Zeit haben mich die morphologischen Unterschiede immer mehr motiviert, bis es mir fast Spaß gemacht hat, eine für mich geeignete Methode zu finden. Was ich als Hindernis gesehen hatte, wurde zu einer Chance, und ich lernte, dass der Weg oft wichtiger ist als das Ziel. Und wenn mir der Durchstieg einer Route einmal wirklich nicht gelingt, kann ich immer noch eine andere versuchen.

So sehr man gerne etwas anderes behaupten möchte: Das Bergsteigen ist und bleibt eine Männerdomäne. Ja, heute sehen wir mehr Frauen als früher am Felsen und in den Bergen. Aber dieser Wandel hat nicht so sehr zu einem neuen Bild des Bergsteigers geführt, sondern eher Karikaturen entstehen lassen: Die stärkeren Frauen wurden zu Mannsweibern, die sich aufgrund höherer Gewalt jedoch bis heute niemals wirklich auf gleicher Höhe fühlen, während die zarter Besaiteten stets im Schatten ihrer Begleiter bleiben.

Wenn wir weiterhin versuchen, jemand zu sein, der wir nicht sind, werden wir uns niemals wohl in unserer Haut fühlen. Wir müssen uns von allen Vorurteilen frei machen, von denen die meisten sowieso nur in unserem Kopf existieren, und unseren eigenen Weg finden.

Wir sind weder besser noch schlechter, sondern einfach anders.

Ein anderer Kopf

 

Gehen Frauen mit Risiken und Ängsten wirklich anders um als Männer? Vielleicht ja. Vielleicht haben wir einen starken Überlebenswillen, der uns dazu bringt, Risiken zu vermeiden. Vielleicht lassen wir uns sehr von unserem Verstand leiten und wagen deshalb weniger. Vielleicht fangen unsere Knie an zu zittern, wenn wir den Bohrhaken unter unseren Füßen sehen, vielleicht fühlen wir uns der Route, der Situation oder der Freundin nicht gewachsen, mit der wir klettern.

Aber wenn es doch beim Klettern gerade darum geht, sich selbst an seine Grenzen zu bringen, müssen wir uns dieser Leidenschaft auch ganz hingeben.

Es fällt uns schwerer, die Gespenster aus unserem Kopf zu vertreiben?

Dafür ist die Befriedigung umso größer, wenn wir es doch schaffen.

Ein anderer Ansatz

 

Als ich mit dem Klettern begonnen habe, war ich mit einem Mann zusammen, der viel stärker war als ich. Ich habe viel von ihm gelernt, schaffte es aber nicht, das Klettern als „mein Ding“ anzusehen – als etwas, für das ich selbst verantwortlich war. Ich mühte mich tagelang an Routen ab, an denen er sich nur aufwärmte, und konnte sie nur selten meistern. Und wenn, dann spürte ich keine Befriedigung, sondern blieb mit dem schalen Gefühl zurück, nur seine Aufwärmroute durchstiegen zu haben. Nach dem Ende unserer Beziehung wurde mir bewusst, dass ich mir die falschen Ziele gesetzt hatte und das Klettern deshalb nicht genießen konnte. Mehr noch: Ich hatte im Grunde überhaupt nicht verstanden, worum es beim Klettern eigentlich geht. Ich habe dann angefangen, mit Männern und Frauen zu klettern, die mehr oder weniger auf meinem Level waren, und konnte endlich alles geben, da ich nun etwas Eigenes hatte. Manchmal scheint es hilfreich, jemanden zu haben, auf den man sich verlassen kann, der die Routen für einen aufbaut, das Seil von oben herablässt, der Tipps gibt. Es scheint zu helfen, aber in Wahrheit hilft es nur dabei, sich weiterhin hinter seiner eigenen Unsicherheit zu verstecken. Wenn man es schafft, aus dieser Dynamik auszubrechen – sei es mit einem Mann oder einer Frau oder einer Gruppe von Freunden – genießt man auch die kleinen alltäglichen Erfolge wie eine Erstbegehung oder einen schwierigen Übergang, den man alleine gemeistert hat. Natürlich geht es beim Klettern ums Teilen, aber bis man nicht alleine geklettert ist, kann man auch nichts mit anderen teilen.

 

Ich bin wie gesagt keine typische Vertreterin des weiblichen Geschlechts, aber beim Klettern bin ich froh, eine Frau zu sein. Ich bin es wegen der vielen kleinen Errungenschaften, die mich viele Opfer gekostet haben: Eine Einladung von einer stärkeren Mitstreiterin annehmen. Sich als erste zu einer Strecke aufmachen. Einen Friend gut setzen und dann nicht abstürzen, in einen Friend stürzen, dessen ich mir nicht sicher war. Eine Strecke ausprobieren, die über meinem Limit liegt. Einem Freund erklären, wie man die Schlüsselstelle passiert – ohne mich anschließend zu ärgern, weil er die Strecke vor mir durchsteigt. Meine breiten Schultern, krummen Füße und geschwollenen Finger lieben. Den salzigen Geschmack der Tränen bei einer Rast schmecken und mich ohne Scham den anderen zuzuwenden, während ich weine. 

Denn eines Tages wird es nicht wichtig sein, Routen welcher Schwierigkeit ich durchstiegen habe, sondern wie ich mich als Kletterin, als Frau, als Mensch entwickelt habe.

 

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